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III.9. Die Entwertung des Leibes

Es lag nahe, dass Paulus unter dem Druck seiner seelischen Erkrankung die voll­ständige Entwertung der Leiblichkeit als heilsnotwendig hinstellen musste.

Es gelang ihm zwar, auch die "böse Lust" seinem gottgewollten Leiden einzu­fügen, aber nur in einer doppelten Umkehrung: Lust wird zu Leid, das Leid wiederum zur Lust. Voraussetzung also war, dass jede lustbetonte natürliche Regung von vornherein negiert und verdrängt wurde.

Da aber die "böse Lust" als eine offenbar dämonische Macht aus dem Leibe her­aus wirkte, musste sie in ihrer leiblichen Existenz getroffen und bekämpft wer­den. Der Leib wird als Brückenkopf satanischer Kräfte angesehen, aus dem heraus der Satan seine Angriffe vorträgt. Er muss daher "zerschlagen und ge­kreuzigt werden" (1. Korinther 9, 27; Galater 5, 24), und hat nur noch eine vorläufige Existenzberechtigung. Auf keinen Fall kann ihn Paulus zu seinem wesentlichen Ich rechnen, sondern muss ihn außer Wirksamkeit setzen, da er von der Sünde beherrscht wird (Römer 6, 6).

Durch Christus erlöst zu werden, bedeutet im Sinne des Paulus nicht die Erlö­sung zu einem Leben im Vertrauen auf die Liebe Gottes, sondern eine Befreiung von der furchtbaren Todesknechtschaft des Leibes (Römer 7, 24).

Seine Einstellung zum Leibe aber ist zwiespältig. Denn dem Todesleib bleibt eine wichtige Funktion, indem er als Tempel des heiligen Geistes ganz in dem Dienst der Verkündigung der Christusbotschaft zu stehen hat (1. Korinther 6, 19; Römer 6, 12).

Insofern kann ihn Paulus nicht von seiner wesentlichen Existenz abtrennen. Die tieferen Gründe für diesen Zwiespalt lagen vermutlich in der Unverstehbarkeit der seinen Leib beherrschenden Sünde, die er einmal als eine fremde, feindliche Macht, dann aber auch wieder als Teil seiner Person zu begreifen sucht:

"Bin ich mir doch selbst ein Rätsel, denn nicht das, was ich eigentlich will, tue ich, sondern im Gegenteil das, was ich im Grunde verabscheue. - Schließlich bin ich es ja selber gar nicht, der das Böse tut, sondern die in mir wohnende Sünde" (Römer 7, 15 und 17).

Dieser zwiespältigen Lage hat er sich nun zu entziehen versucht durch die Be­gründung einer neuen Existenz, die er als das "Sein in Christus" bezeichnete. Die junge Kirche hat sich dann später seiner Lehre weithin angeschlossen, so dass die christliche Theologie von ihren Anfängen her stark vom paulinischen Denken beeinflusst wurde. Paulus selbst aber hat den für die Entwicklung der Kirche richtungweisenden Sieg seines Geistes nicht mehr erlebt.


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Last update: 31 Mai 2009 | Impressum—Imprint