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Laikologie

In der Konversationskunst, wie sie Kurd Alsleben und Antje Eske verstehen (siehe www.Netzkunstwoerterbuch.de), wird eine Beziehung von Gleichartigen, Nicht-Laien vorausgesetzt. Die Idee des Nicht-Laien richtet sich gegen die Opposition Experte–Laie, (Künstler–Publikum), also sowohl gegen die Zuschreibung einer Rolle, ‘nur als Laie’ zu sprechen, als auch gegen die Besserwisserei des Expertentums. Jenseits des Eingeständnisses, dass beide, Künstler/Wahrgeber und Rezipient/Wahrnehmer, ‘nicht weiter wissen’, kommt es zu einer mutuellen, gleichrangigen Begegnung in der Konversation (face -to-face oder medial), die Fremdheit erfahrbar und gegenseitiges Lernen und Verstehen möglich machen soll. Dies tritt programmatisch an die Stelle der Kunstproduktion des Künstlers, der etwas Neues/Avanciertes produziert und durch dieses Produkt einseitig mit einer irgendwie gearteten Zuschauer- oder Leserschaft kommuniziert.

Was zeichnet den Nicht-Laien, der auch gleichzeitig Nicht-Experte ist, aus? In wiefern vermag die Setzung: ‘Du bist mir gegenüber Nicht-Laie, ich ebenso—auch ich weiss nicht weiter ’ die tatsächliche Beziehung zu bestimmen? Passiert nicht in solcher Konversation als künstlerischer Form etwas viel Komplizierteres, in dem nämlich die Teilnehmer bestimmte offene und implizierte Erwartungshaltungen an ihre 'idealtypische' Rolle, die sich als Katalog wiedergeben liesse (Offenheit für das Andere und Neue; keine Besserwisserei; keine Aggression; keine auf den anderen gemünzte Ironie) halb erfüllen halb verfehlen, und sich an diesem inneren Konflikt abarbeiten? Eine gewisse Befangenheit, ein Lavieren, ein Einschnappen auf die akzeptable Spielregel deuten darauf hin.

Während die Einrichtung einer von Konventionen und sozialen Schemata gereinigten Leerstelle ‘Konversation’ zumindest ein interessantes soziales Experiment ist, hat die darin stattfindende Produktion oft eher unfreie und symptomatische Züge—d.h., in einer interessanten Verkehrung der Absicht, einen offenen, nicht durch Ansprüche vorweg gespannten Raum zu schaffen, entsteht bei den Teilnehmern eine kaschierte Angst, die durch den Reflex zum Bekannten, zum kleinsten gemeinsamen Nenner erlöst wird: smalltalk, gereimter, sich fortpflanzender Witz, das Gezwungene in kleinster Form. Deutlich ist eine sozial induzierte Aggressionshemmung, die den qualitativen Sprung über die gefundene Mikro-Konvention hinaus verhindert. Das Liebe, die soziale Enge der gelingenden Konversation, bannt die Möglichkeit der Aggression und des Ausbruchs, der Regelversetzung, die einer leidenschaftlichen Auseinandersetzung elementar angehört. Man gehört zusammen, kann nicht die Möglichkeit aktualisieren, im Streit auseinanderzugehen: ein mitschwingendes Risiko, welches einer Einigung erst die Qualität einer neuen Synthese, eines Fortschritts, verleiht. Damit werden bestimmte Register der Erfahrung strukturell schwer zugänglich. Es mag da zwischen Teilnehmern gelingen, bei denen ein Angenommensein auch ausserhalb der Konversation entschieden verbügt ist. Diese Qualität erinnert an ein anderes Privileg das quer zu der professionellen Unterscheidung Experte/Laie steht: geladen/nicht geladen, die Zugehörigkeit zum Salon, zum Kreis.

Verliert sich das spezifisch Künstlerische im Sinne einer fortschreitenden Verortung in der Kunstgeschichte, wenn die nicht-laikale Gleichrangigkeit sowohl dem anderen zugedacht als auch von Künstlern selbst eingenommen wird? Was bedeutet es, selbst gleichrangig mit dem Nicht-Laien sein zu wollen, wenn tatsächlich ein wie auch immer gebrochenes und zurückgenommenes Expertentum (als lebensgeschichtliche Komponente) weiter besteht?

Ist diese bewusste Laikologie nun auch produktionsökonomisch die ‘Katastrophe’ der Kunst wie sie einst gedacht wurde, indem eine Unterscheidung (Laie / Experte) nicht nur für ungültig erklärt wird, sondern auch institutionell, als Umgehung von Institutionen, realisiert wird? Während im Falle von Beuys (‘Jeder Mensch ist ein Künstler’) die institutionelle Seite des Kunstsystems—und damit ihre Wertschöpfungsfunktion, emblematisch in der Signatur—erhalten blieb, also Gegenstände, die von Beuys hätten sein können, aber nicht verbürgt von ihm geschaffen wurden, von jedem Museum mit Entrüstung oder Nonchalance zurückgewiesen worden wären, gibt es nun eine Vernetzung von Partizipanten am Kunstsystem vorbei, mit tatsächlich geringsten Überschneidungen—das Naserümpfen auf beiden Seiten über die Nichtigkeit der jeweils anderen Seite macht dies deutlich (ich lasse hier eine vielleicht produktionsgeschichtlich erzwungene, eher langsame und widerwillige Hinwendung des Kunstsystems zur Netzkunst beiseite).

In was für soziale und bewusstseinshafte Vermittlungen zwischen ihrer primären Rolle in der nicht-laikalen Konversation und ihrer dahinter liegenden geschichtlichen Formung (intern durch die Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte, und extern durch erworbenes gesellschaftliches Bewusstsein) treten nicht-laikale Künstler ein? Als (zurückgenommene) Pädagogen? Als Kalkulierende, die das vielsagende sekundäre materielle Ergebnis des Primärprozesses Konversation vorausssehen, in dem Aussagen und Beziehungen im distanzierten Blick symtomatisch werden und die sich für die Verwertung im Kunstsystem (sei es museal, sei es journalistisch) zumindest formal eignen könnten?

Was ist die ökonomische Perspektive für Künstler, die sich dieser nicht-laikalen Rolle verschreiben? Sollen sie den Aspekt des Nicht-bezahlt-Werdens, in dem ihre Rolle der des theologischen Laien gleicht, auf sich nehmen, mit den Folgen der bewusst akzeptierten Nicht-Professionalität, die auch bedeutet, dass nur ein geringer Teil ihrer Zeit für diese Arbeit bereitsteht, da ein ökonomischer Zwang zur Berufsausübung im nicht-künstlerischen Bereich besteht? Man muss sich im Klaren sein, dass die Position der Laikalität den Verzicht auf den Beruf des Künstlers als bezahlten Produzenten, sei es von Objekten oder prozessualen Vermittlungen, beinhaltet, also eine Bestätigung von George Macunias’ Diktum: ‘Every Artist should have a day job.’

Wieviel Plätze hält ein Kunstmarkt für die Rolle des nicht-laikalen Künstlers vor? Ein solcher Künstler liesse ja die vielleicht willkürlichen, aber geschichtlich und persönlich erarbeiteten Kriterien des Galeristen und Kuratoren ausser Acht, welche die Aufnahme in den Betrieb regulieren. Diese Kriterien sind das JA/NEIN zu den Bedingungen einer ökonomisch erträglichen Existenz für Vollzeitkünstler. Es ist anzunehmen, dass die Leistung des laikologischen Künstlers im System Kunst nur formal, als Produzent einer konzeptuell interessanten Schnittstelle, in Betracht gezogen wird, während die substantielle Produktion der Konversationsteilnehmer nicht Teil der Mehrwertproduktion werden kann—und dies nicht aus Qualitätsgründen, sondern auf Grund einer Inflation von Material, welches die selektierende Wertschöpfung des Systems Kunst negiert und zum vollständigen Verfall des Preises führen würde—und damit zu der Unmöglichkeit, aus der Produktion sein Leben zu fristen.

Last update: 01 August 2004 | Impressum—Imprint