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III.2. Paulus im Urteil seiner Gegner

Ein Vorwurf hat Paulus während seiner Tätigkeit unter den Heiden schwer zu schaffen gemacht. Man beschuldigte ihn nämlich, er habe sich die Apostelwürde zu Unrecht zugelegt.

Tatsächlich fehlte Paulus eine wichtige Voraussetzung, ohne die ihm die Apostel­würde nach urkirchlicher Auffassung zu Recht streitig gemacht werden konnte. Selbst die Apostelgeschichte, die an der göttlichen Sendung des Paulus keinen Zweifel lässt, setzt bei dem Bericht von der Neuwahl des Apostels Matthias als selbstverständlich voraus, dass nur ein Mann für dieses Amt in Frage käme, der als ein Jünger Jesu mit ihm bis zuletzt zusammengewesen wäre (acta I, 21). Da Paulus aber aller Wahrscheinlichkeit nach den irdischen Jesus niemals kennen­gelernt hatte, konnte ihm die Rechtmäßigkeit seines Apostolates bestritten werden.

Die Schilderung der Verhandlungen in Jerusalem, die Paulus im Galaterbrief gegeben hat (Galater 2, 1 ff.), lassen deutlich erkennen, welch einem Argwohn Paulus in Jerusalem begegnete, und mit welch einer betonten Geringschätzung Paulus diesen Argwohn quittierte, wenn er schreibt: "Von seiten derjenigen aber, die als Häupter galten..., übrigens ist es mir gleichgültig, wie groß ihr Ansehen früher war: Gott nimmt auf das äußere Ansehen eines Menschen keine Rücksicht...; mir also haben diese Häupter keine weitere Verpflichtung auferlegt..." (Galater 2, 6).

Die Erfolge des Paulus in der Heidenmission aber und sein Wunsch, mit den Führern der Urgemeinde Verbindung zu haben, ließen es vermutlich ratsam erscheinen, ihm in seinem Wirken unter den Heiden freie Hand zu lassen. Was "die Häupter" in Jerusalem nicht verhindern konnten, haben sie klugerweise eingeräumt, ohne dass es Paulus zunächst gelang, als gleichberechtigt neben ihnen anerkannt zu werden. Der Handschlag, den Paulus und Barnabas von den Aposteln empfingen, besiegelte im Grunde kein Bündnis, sondern bestä­tigte die Trennung zwischen Juden- und Heidenchristen, die als Unbeschnittene genausowenig anerkannt wurden, wie ihr in seiner Apostelwürde angefochte­ner Missionar (Galater 2, 9).

Übersieht man nun die geschichtliche Entwicklung, die dieser Auseinanderset­zung folgte, so scheint in ihr eine überzeugende Rechtfertigung des Paulus in seiner Arbeit und in seinem Anspruch zu liegen. Die Frage aber bleibt, ob sich Paulus durch sein erfolgreiches Werk als ein Apostel ausgewiesen hat.

Die Bestätigung im Sinne der Urgemeinde durch den Nachweis der Jünger­schaft mag belanglos sein. Es ist aber den Männern in Jerusalem und auch den schärferen Beobachtern in den heidenchristlichen Gemeinden offenbar nicht ent­gangen, wie unsicher in sich selbst und mit welch ungewöhnlichen Mitteln, von denen noch später die Rede sein wird, Paulus um die Anerkennung seiner Auto­rität gekämpft hat.

Das Damaskuserlebnis, wie es die Apostelgeschichte in dreifacher Version schil­dert, kann aller Wahrscheinlichkeit nach nicht als historisch angesehen werden. Denn wenn Paulus ein derartiges Erlebnis gehabt hätte, würde er sich bei seiner angefochtenen Position bestimmt auf diese persönliche Offenbarung Christi in seinen Briefen berufen haben, zumal sie ja nach dem Bericht der Apostel­geschichte in Anwesenheit vieler Zeugen erfolgt sein soll (acta 9,1 ff.; 22,3 ff.; 26,2 ff.). Diese Zeugen aber gab es nicht, Paulus selbst hat sich auch niemals auf sie berufen. Wir wissen nur, dass ihm Visionen und Entrückungen widerfuhren (2. Korinther 12, 1 ff.), die mit dem Erlebnis vor Damaskus nichts zu tun haben können, da sie ihm erst in der Zeit nach seiner Bekehrung zuteil wurden. Im Blick auf seine Bekehrung sagt er nur, Gott habe ihm seinen Sohn offenbart (Galater 1, 15), ihm sei der Herr als eine unzeitige Geburt als dem letzten aller Apostel erschienen (1. Korinther 15, 8).

Er beschränkt sich also auf die Behauptung, Gott selber habe ihn zum Apostel berufen. Daneben aber weist er auf seine großen Verdienste hin, um ebenbür­tig neben den Aposteln bestehen zu können. Ja, er versucht sie in den Schatten zu stellen, indem er darauf hinweist, dass er mehr als alle anderen gearbeitet habe (1. Korinther 15, 10). Eigenartigerweise kann er das Herausstellen eigener Verdienste mit der Herabsetzung der Menschen verbinden, die er als seine Geg­ner empfindet. So hat er einmal in großer Erregung die führenden Leute in J eru­salem, die er zunächst ironisch als Über-Apostel bezeichnet, "Lügenapostel" genannt (2. Korinther 11, 5 und 13). Wer seine Selbstverteidigung, wie er sie in 2. Korinther 11 und 12 vorgebracht hat, einmal unvoreingenommen liest, wird seinen Gegnern schon das Recht zubilligen, diesem Mann mit Vorbehalt zu begegnen.

Paulus selbst hat nun die Einwände, die man gegen seine Person erhob, in seine Briefe aufgenommen.

Besonders in Korinth befanden sich unter seinen Gegnern kritische Leute, die aus ihrer Kritik anscheinend keinen Hehl gemacht haben. Sie glaubten, eine bezeichnende Charaktereigenschaft an ihm entdeckt zu haben, die sehr wider­spruchsvoll in Erscheinung trat. In seinem persönlichen Auftreten, so behaup­teten sie, macht er einen unsicheren Eindruck, in seiner Rede ist er gehemmt (2. Korinther 10, 10). Außerdem kann man sich auf sein Wort nicht verlassen. Einmal redet er so, einmal anders (2. Korinther 1, 17). Im brieflichen Verkehr aber tritt er sehr selbstbewusst auf und versucht, die Gemeinde durch seine Worte einzuschüchtern (2. Korinther 10, 1 und 10, 10). Also Auge in Auge ist er demütig, aber in der Ferne voller Selbstbewusstsein gegenüber der korinthi­schen Gemeinde (2. Korinther 10, 10). Zudem kann er es nicht lassen, sich dauernd selbst zu empfehlen und in den Vordergrund zu rücken (2. Korinther 3, I), so dass man den Eindruck hat, er predige nicht Christus, sondern sich sel­ber (2. Korinther 3, 5 und 4, 5).

Nun würde wohl kein Mensch in ähnlicher Lage und bei einem Auftrag von sol­cher Tragweite berechtigter oder auch übelwollender Kritik entgangen sein. Die Tatsache, dass Paulus kritisiert wurde, wäre recht unwichtig, wenn die· Kritik nicht durch die Art der Erwiderung und Abwehr von seiten des Paulus ein so großes Gewicht bekäme. Unsachlicher oder böswilliger Kritik hätte ein seiner selbst und seines Auftrages gewisser Mann durch eine kurze, sachliche Richtig­stellung die Spitze genommen. Paulus dagegen nahm die abfälligen Bemerkun­gen sehr ernst und versuchte, sie in großer Erregung zu widerlegen. Nur V or­würfe, die ins Schwarze treffen, können so heftige Reaktionen auslösen, wie sie bei Paulus zu beobachten sind. Die Art seiner Rechtfertigung lässt die Kritik als berechtigt erscheinen, die offenbar einflussreiche Kreise innerhalb der Gemeinde an ihm geübt haben.

Den Vorwurf der Unsicherheit und Gehemmtheit in seinem persönlichen Auf­treten nimmt er hin. Seine furchtsame Zurückhaltung aber will er als ein Bemü­hen verstanden wissen, den Glauben der Korinther nicht auf eindrucksvolle Weisheitsworte, sondern auf Gottes Kraft zu gründen (1. Korinther 2, 3).

Sehr viel scheint Paulus daran gelegen zu sein, den Vorwurf zu entkräften, er brauche starke, drohende Worte in seinen Briefen, aber in vVirklichkeit stehe nicht viel dahinter. Wahrscheinlich hat man bei diesem Vorwurf an eine Dro­hung gedacht, die er im Blick auf unbotmäßige Gemeindeglieder einmal in die Worte fasste "Soll ich nun mit der Rute zu euch kommen oder mit Liebe und sanftmütigen Geist?" (1. Korinther 4, 21). Da Paulus nun aber offensichtlich nicht durch ein persönliches Erscheinen eingegriffen hatte, um den Widerstand seiner Gegner zu brechen, hatte er Wasser auf ihre Mühlen geleitet, da sie sich in ihrer Skepsis ihm gegenüber bestätigt fühlten.

Mit starken Worten bestreitet Paulus nun, dass Angst der Grund seines Fern­bleibens gewesen sei: ,,Ich rufe Gott zum Zeugen an, nur um euch zu schonen, bin ich noch nicht wieder nach Korinth gekommen" (2. Korinther I, 23). Was bei seinem Besuch hätte geschehen müssen, stellt er am Ende des Briefes als eine erneute Drohung den Korinthern in Aussicht. Er will dann schonungslos durch­greifen und beweisen, dass Christus aus ihm redet (2. Korinther 13, 3 und 10). Nachdem er nun sein Fernbleiben als ein liebendes Verschonen seiner Gegner erklärt hat, geschieht etwas Merkwürdiges. So, als ob er vor sich selbst er­schrecke, nimmt er die starken Worte gleichsam zurück, indem er jede richter­liche Funktion nun weit von sich weist und in werbendem Ton sagt: "Nicht, als ob wir Herren über euren Glauben wären, nein, wir sind Mitarbeiter an eurer Freude; denn im Glauben steht ihr fest"(2. Korinther I, 24).

Und schon erweisen sich diese verbindlichen Worte als eine Brücke zu den eigentlichen Gründen, die ihn von Korinth fernhielten. Ohne sich dessen bewusst zu sein, dass sie im Widerspruch zu den vorgeschobenen Gründen stehen und den Verdacht seiner korinthischen Gegner bestätigen, gibt er seine Besorgnisse preis: "Ich wollte bei einem neuen Besuch nicht wieder die gleichen betrüblichen Erfahrungen machen, wie das vorige Mal" (2. Korinther 2, 1). - "Deshalb habe ich das, was ich auf dem Herzen hatte, brieflich ausgesprochen, um nicht bei mei­nem Besuch an denen Kummer zu erleben, an denen ich ja Freude haben möchte" (2. Korinther 2, 3).

Von einer Schonung seiner korinthischen Gegner ist nun nicht mehr die Rede. Die Furcht vor unerquicklichen Auseinandersetzungen, die Sorge, der Situation genauso wenig gewachsen zu sein, wie bei dem vorhergehenden Besuch, kom­men als Motiv für sein Fernbleiben deutlich zum Ausdruck.

Ebenso misslingt es ihm, den Vorwurf zu entkräften, er empfehle sich selbst. In wiederholten Anläufen versucht er diesen Vorwurf als haltlos hinzustellen. Diese Verdächtigung scheint ihn tief getroffen zu haben. Anfangs versucht er sie kurz mit Ironie abzutun: "Fangen wir schon wieder an, uns selbst zu empfeh­len? Oder haben wir etwa, wie gewisse Leute, Empfehlungsbriefe an euch oder von euch nötig?" (2. Korinther 3, 1ff.). Dann versucht er, sich dieses Vorwur­fes zu entledigen, indem er ihn seinen Gegnern zuschiebt: "Nicht ich empfehle mich, sondern die gewissen Leute unter euch, mit denen ich mich selbstverständ­lich nicht auf eine Stufe stellen werde" (2. Korinther 10, 12).

In Überlegenheit sucht er dieses unerfreuliche Thema mit den Worten abzu­schließen: "Nicht der, welcher sich selbst empfiehlt, ist bewährt, sondern der, den der Herr empfiehlt" (2. Korinther 10, 18).

Dann aber erfolgt plötzlich der Umschlag. Er singt ein kleines Loblied auf sich selber (2. Korinther 11, 16). Wie unter einem Zwang, einem Wahnwitz (2. Ko­rinther 11, 23) gibt er nach seinen eigenen Worten dem Verlangen nach, sich selbst so zu offenbaren, wie er gesehen werden möchte, nämlich als der über­ragende Apostel, der den anderen in nichts nachsteht (2. Korinther 11, 16 ­12, 10). Er hat dabei offenbar selbst gespürt, welch eine Bestätigung er seinen Gegnern mit seinem Selbstruhm gab, wenn er am Ende sagt: "Ich bin ein Tor geworden, ihr habt mich dazu gezwungen, denn ich hätte von euch empfohlen werden müssen" (2. Korinther 12, 11).

Paulus bringt also deutlich zum Ausdruck, wie sehr ihm an Anerkennung gele­gen ist. So hat ihn auch der Bericht des Titus über die Sehnsucht der Korinther nach ihm und ihr Eifer für ihn in großer Bedrängnis trösten können (2. Korin­ther 7, 7). Offenbar brauchte er die Bestätigung durch Menschen, unter denen er wirkte, und wo sie ausblieb oder sich mit Kritik verband, suchte er sich durch Herausstellen seiner Verdienste die Anerkennung zu verschaffen, die ihm in dem erwarteten Maße von der Gemeinde nicht zuteil wurde.


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Last update: 31 Mai 2009 | Impressum—Imprint